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2 Du hast …

2.1 Das Verhältnis Jesu zum Dekalog

Das Bewusstsein, dass der Dekalog als Wegweiser zum Leben gegeben wurde, scheint in den etwa 400 Jahren zwischen dem letzten Propheten und der Geburt Jesu verloren gegangen zu sein, oder zumindest in den Hintergrund getreten zu sein. Das Gesetz war nicht mehr Freude, sondern eine Last (Mt 11,29; 23,4ff). Die Pharisäer hatten immer wieder neue Gebote und Verbote aufgestellt, damit ja niemand die Zehn Gebote bricht, denn das bringt den Tod, und damit haben sie dem Dekalog die eigentliche Aufgabe genommen, die das Gesetz hatte, nämlich die Erkenntnis zu geben, dass ich verloren bin. Das Gesetz sollte den Menschen verurteilen und dahin führen, dass er einen Ausweg sucht.[1]

Als Jesus kam sagte er: „Meint nicht, dass ich gekommen sei, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen.“ (Mt 5,17) Wie hat Jesus das Gesetz erfüllt? Wie stand er zu den Geboten?

Oft wird behauptet das Jesus die Zehn Gebote aufhebt. Jedoch hebt er die Gebote nicht auf, sondern im Gegenteil, er verschärft sie in der Bergpredigt indem er ihnen das Element der Intention hinzufügt.[2] Jesus verschärft die Gebote und sagt, wenn jemand seinem Bruder zürnt, dann hat er schon das Gesetz gebrochen und wenn jemand auch nur eine Frau ansieht und sie begehrt, der hat schon die Ehe gebrochen. Sünde beginnt nicht allein mit der Tat, sondern mit Gedanken und Gefühlen, die nicht Gottes Willen und Wesen entsprechen. So reicht die äußere Gerechtigkeit, die die Pharisäer vorlebten, nicht aus, um das ewige Leben zu erhalten.

Jesus lehnte die Interpretation der Gebote, wie sie die Pharisäer gaben, ab, da sie dadurch im Effekt für nichtig erklärt werden (Mt 15,4-6). Jesus selbst wiederholt die meisten der zehn Gebote und gibt ihnen ihre eigentliche Bedeutung. In Matthäus 15 spricht er über das dritte, sechste, siebte, achte und neunte Gebot und vier Kapitel weiter fügt er der Liste noch das fünfte Gebot hinzu. Auch an anderen Stellen spricht er über einzelne Gebote und radikalisiert sie.

Wir sehen, Jesus hat die Gebote nicht aufgehoben, sondern verschärft. Er erfüllte die Zehn Gebote dadurch, dass er ihnen gehorchte (2. Kor 5,21). Er war an keinem der Zehn Gebote schuldig geworden. Er war so, wie Gott sich den Menschen vorgestellt hatte. Er sagt selbst von sich: „Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen“ (Joh 14,9). Vielleicht stellen sie sich die Frage: Ist Jesus dadurch nicht überflüssig geworden, wenn er selbst so sehr auf die Zehn Gebote besteht? 

2.2 Das Verhältnis des Apostel Paulus zum Dekalog

Schauen wir uns zunächst noch an, was der Apostel Paulus zu den Zehn Geboten schreibt. In seinem Brief an die Philipper schreibt er (Phil 3,6-11):

der Gerechtigkeit nach, die im Gesetz ist, untadelig geworden. 7 Aber was auch immer mir Gewinn war, das habe ich um Christi willen für Verlust gehalten; 8 ja wirklich, ich halte auch alles für Verlust um der unübertrefflichen Größe der Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn, willen, um dessentwillen ich alles eingebüßt habe und es für Dreck halte, damit ich Christus gewinne 9 und in ihm gefunden werde – indem ich nicht meine Gerechtigkeit habe, die aus dem Gesetz ist, sondern die durch den Glauben an Christus, die Gerechtigkeit aus Gott aufgrund des Glaubens -, 10 um ihn und die Kraft seiner Auferstehung und die Gemeinschaft seiner Leiden zu erkennen, indem ich seinem Tod gleich werde, 11 ob ich irgendwie hingelangen möge zur Auferstehung aus den Toten.Elberfelder-Bibel; Philipper 3,6-11

Er war dem Gesetz nach untadelig. Man konnte ihn nach dem Gesetz nicht anklagen, da er alles gehalten hatte und doch hat ihm dieses nicht das ewige Leben gebracht. Sein ganzes Bemühen im Halten des Gesetzes Leben zu finden, hat er für Dreck erachtet. Es war nutzlos und sinnlos. Erst als er Christus gefunden hat und durch seinen Tod, hatte er die Hoffnung zur Auferstehung aus den Toten zu gelangen.

Paulus spricht von der Aufrichtung des Gesetzes, nicht von seiner Aufhebung. Auch ihm geht es um die wahre Bedeutung der Gebote: Die zehn Gebote sind nicht der Weg zum ewigen Leben, sondern der Maßstab für die Sünde (Röm 3,20). Er sagt, würden die Gebote abgeschafft, würde demnach unsere Sündenerkenntnis verloren gehen (Röm 4,15) und damit auch das Verständnis für den Kreuzestod Jesu. Paulus zeigt außerdem in Römer 4,1-8, dass selbst der alttestamentliche Gläubige nicht durch Halten der Gebote gerecht wurde, sondern durch den Glauben. Auch jener musste glauben, dass Gott ihm vergibt, weil jemand stellvertretend für ihn stirbt (die Tieropfer waren ein Hinweis auf Jesus Christus).[3]

Weiter schreibt Paulus, im Kapitel 13,8-10:

8 Seid niemand irgendetwas schuldig, als nur einander zu lieben! Denn wer den anderen liebt, hat das Gesetz erfüllt. 9 Denn das: „Du sollst nicht ehebrechen, du sollst nicht töten, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht begehren“, und wenn es ein anderes Gebot gibt, ist in diesem Wort zusammengefasst: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ 10 Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. Die Erfüllung des Gesetzes ist also die Liebe.Elberfelder-Bibel; Römer: 13,8-10

Er zitiert hier das sechste, siebte, achte und zehnte Gebot wörtlich und fasst die übrigen zusammen und sagt, alle zehn Gebote können in dem einen Satz zusammengefasst werden: liebe deinen nächsten wie dich selbst. Nicht zusammengefasst, indem sie auf einen Satz reduziert werden, sondern die zehn Gebote sind die Ausführung des Zentralgebotes der Liebe.[4]In vielen Schriftstellen lehrte Paulus also eindeutig Gehorsam gegenüber dem Gesetz Gottes aber nicht um dadurch Leben zu erhalten.


[1] McQuilkin, Biblische Ethik. S. 53
[2] Bockmühl, Christliche Lebensführung. S. 10
[3] Wittwer, Die Zehn Gebote. S. 3
[4] Bockmühl, Christliche Lebensführung. S. 11

Gott wünscht sich, dass alle Menschen gerettet werden, einschließlich Kinder. Doch um gerettet zu werden, müssen sie verstehen, wie das funktioniert. Der Kindergottesdienst bietet eine hervorragende Gelegenheit, dieses Verständnis zu vermitteln. Der Weg zur Rettung kann mithilfe biblischer Geschichten, Bibelverse oder zusätzlicher Lektionen erklärt werden. Die beste Methode ist sicherlich das persönliche Gespräch, wenn ein Kind Fragen an die Mitarbeiter richtet.

Man kann sich das Evangelium anhand von 4 Begriffen merken und jeden Punkt dann entsprechend ausformulieren. Hier ist eine Möglichkeit, den Kindern die Botschaft der Errettung zu vermitteln:

Das Evangelium anhand von vier Worten:

Gott

Gott ist ein allmächtiges Wesen (Geist), das alles in der Welt geschaffen hat, einschließlich der Erde, der Tiere und der Menschen. Er ist heilig, was bedeutet, dass er vollkommen gut ist und niemals etwas Falsches tut. Er ist einfach perfekt. Gott denkt oder handelt niemals böswillig. Das Wichtigste ist, dass Gott dich liebt und möchte, dass du in seiner Gegenwart lebst, sowohl im Hier und Jetzt als auch in der Ewigkeit. Er wünscht sich, dass du sein Kind bist und für immer bei ihm sein kannst. Aber es gibt da ein Problem.

Mensch

Wir Menschen sind ganz anders als Gott. Er ist gerecht und heilig, während wir Sünder sind. Das bedeutet, dass wir Dinge tun, die Gott missfallen, Dinge, die er verboten hat. Hast du schon einmal etwas gestohlen, gelogen oder dich mit deinen Geschwistern oder Freunden gestritten? Das sind Sünden, denn Gott hat uns gelehrt, einander zu lieben, nicht zu lügen und nicht zu stehlen. Die Bibel sagt, dass jeder Mensch sündigt, da unser Herz böse ist. Aufgrund seiner Gerechtigkeit muss Gott die Sünde bestrafen, und die Strafe für die Sünde ist der Tod. Dies bedeutet nicht, dass wir sofort sterben, wenn wir etwas Falsches tun, sondern dass wir nicht in Gemeinschaft mit Gott leben können, weder jetzt noch nach unserem Tod. Aber Gott wünscht sich, dass wir mit ihm leben können, und deshalb hat er einen Plan entwickelt.

Christus

Jesus ist der einzige Mensch, der niemals gesündigt hat, denn er ist Gottes Sohn. Jesus ist selbst Gott, aber er lebte auf der Erde in menschlicher Gestalt. Er beging niemals eine Sünde, dennoch musste er sterben. Jesus starb unschuldig für deine und meine Sünden. Als er am Kreuz starb, nahm er die Strafe für all das auf sich, was du falsch gemacht hast. Er starb für dich. Aber er ist auch auferstanden und lebt. Er hat damit den Tod besiegt und ermöglicht, dass Gott uns vergibt. Das bedeutet nicht, dass jeder automatisch Vergebung erhält. Jeder, der an Jesus glaubt und ihn als seinen Retter annimmt, wird gerettet, und Gott nimmt ihn als sein Kind an.

Antwort

Verstehst du, dass du ein Sünder bist und nicht in deiner gegenwärtigen Verfassung zu Gott kommen kannst? Dann kannst du Gott antworten indem du ihn um Vergebung bittest. Glaube daran, dass Jesus die Strafe für dich bezahlt hat und für dich gestorben ist. Nimm Jesus als deinen Retter und Herrn an und bitte ihn dein Leben zu bestimmen.

Welche Folgen wird das haben: Wenn du Gott um Vergebung bittest, wird er dir vergeben und dein Leben verändern. Du gehörst jetzt zu ihm und bist sein Kind. Strebe danach, ihn besser kennenzulernen, indem du in der Bibel liest und betest. Erzähle anderen, welche Veränderungen Gott in deinem Leben bewirkt hat, und bitte Gott um Hilfe, um so zu leben, wie es ihm gefällt. Es wird Zeiten geben, in denen du wieder sündigst, aber du bleibst Gottes Kind. Er versteht, wie es dir ergeht, und wird dich niemals verlassen. Bitte um Vergebung und um seine Hilfe, um immer weniger zu sündigen. Je mehr du ihn kennenlernst umso mehr wird sein heiliger Geist, der in dir wohnt dich verändern (2. Kor 3,18).

Ein Beispiel für ein Übergabegebet

Ich persönlich denke, dass man da kein spezielles Gebet braucht, sondern wenn das Kind die Hauptpunkte verstanden hat, kann man dem Kind helfen sein eigenes Gebet zu formulieren. Eine Hilfe kann das folgende Gebet sein:

Herr Jesus Christus, im Glauben komme ich jetzt zu dir. Ich danke dir, dass du mich kennst und liebst. Danke, dass du mir ewiges Leben schenken möchtest.

Ich glaube, dass du auch für meine Schuld am Kreuz gestorben bist und dass du auferstanden bist und lebst.

Bisher habe ich mein Leben selbst bestimmt. Ich habe gegen dich und gegen Menschen gesündigt. Bitte vergib mir alle meine Schuld.

Ich gebe dir mein Leben mit Leib, Seele und Geist, meine Vergangenheit, meine Gegenwart und meine Zukunft. Ich will dir gehören.

Komm du in mein Leben und schenke mir den Heiligen Geist. Mach mich zu einem Kind Gottes. Übernimm du die Herrschaft in meinem Leben. Führe und verändere mich so, wie du mich haben willst.

Ich danke dir, mein Herr und mein Gott. Amen

„Mittlerweile kennt in Europa nur eine Minderheit der erwachsenen Bevölkerung den Wortlaut der Zehn Gebote. Allenfalls die auf den Mitmenschen bezogenen Gebote des Dekalogs (haben) einen Ruf als ethisches Minimum – auch unter sogenannten Nicht-Gläubigen – bewahrt.“Schreiber, Die Zehn Gebote. Eine Ethik für heute, S. 11.

schreibt der SPIEGEL-Autor Mathias Schreiber.1 Auch die Meinungsumfrage Emnid kommt im Jahr 1999 zu dem Ergebnis, dass nahezu alle Frauen und Männer in Deutschland, nur noch vier der zehn Gebote für wichtig halten. Vor allem für die junge Generation ist auch nicht klar, wofür die zehn Gebote gut sein sollen.2 Dabei sind die zehn Gebote bis heute auch in der Rechtsprechung immer noch geltende Maßstäbe.

Gerade in der heutigen, extrem individualistisch geprägten Zeit in der die Maßstäbe und Werte außer Kraft gesetzt werden, sieht man eine Trendwende in Deutschland, nämlich die Sehnsucht nach verbindlichen Maßstäben. Viele Menschen sind auf der Suche nach Werten, die der Gesellschaft Halt geben.

Könnte die Rückbesinnung auf die zehn Gebote diese Sehnsucht stillen oder gelten die 10 Gebote uns als Christen nicht mehr?

1 Du Sollst …

1.1 Gottes Gabe an Israel

Viele Menschen denken, wenn sie das Wort „Gebote“ oder Gesetz hören, sofort an Verbote und Befehle, die zu befolgen sind. Sobald man diese Verbote und Befehle nicht einhält, wartet eine harte Bestrafung auf den Übeltäter.

Doch genau hier liegt das Problem. Wenn wir uns mit den 10 Geboten beschäftigen, dann ist es zwingend notwendig sich mit dem historischen Umfeld und der Situation zu beschäftigen. In den vergangenen Jahrhunderten hat die Christenheit einen großen Fehler gemacht. Sie hat die 10 Gebote aus ihrem Zusammenhang gerissen.  Die zehn Gebote, wie sie in 2 Mose 20 stehen haben nicht den Anspruch, das Grundgesetz für die gesamte Menschheit zu sein, denn im ersten Satz, der sogenannten Präambel der Zehn Gebote[1], sagt der allmächtige Gott: „Ich bin der HERR, dein Gott, der ich dich aus dem Land Ägypten, aus dem Sklavenhaus, herausgeführt habe.“ Das war die Grundvorrausetzung der Zehn Gebote. Die Zehn Gebote beginnen mit einer großartigen Verheißung: „Ich bin der HERR, dein Gott,…“ und darauf folgt dann eine Erinnerung: „der ich dich aus dem Land Ägypten, aus dem Sklavenhaus, herausgeführt habe.“ 

Wer ist er, der sich hier vorstellt? Gott stellt sich hier mit dem Gottesnamen YHWH (Jahwe) vor, was soviel wie „Ich bin mit dir“ oder „Ich bin gegenwärtig“[2] bedeutet. Es ist nicht irgendein Mensch, der hier spricht. Es ist Gott höchstpersönlich. Er hat die Autorität. Für den Juden hat Gott die höchste Autorität. „Das ist der Gott, der uns aus Ägypten geführt, und deshalb gehorchen wir. Er ist es, der uns befreit hat.“ Er sagt aber noch mehr. Gott sagt: „Ich bin dein Gott“. Das ist das Liebesangebot Gottes. Die Initiative geht immer von Gott aus.

Gott hat als erstes etwas getan. Er war es, der die Israeliten aus der Gefangenschaft befreit hat. Bei Gott kommt zuerst die Gabe und danach erst die Aufgabe. Das ist grundlegend für unser Verständnis der Zehn Gebote und für unser gesamtes Bibelverständnis.[3] Gott beginnt mit dem Schenken. Er gab die Freiheit, die Zusage seiner Nähe und seines Schutzes. 

Wer erkennt, dass Gott die Israeliten für sich befreit hat, wird die Zehn Gebote nicht mehr missverstehen und als Belastung oder Einschränkung empfinden. Der Gehorsam den Zehn Geboten Gottes gegenüber ist eine uneingeschränkte und freiwillige Antwort der Dankbarkeit für Gottes große Freundlichkeit.[4] Die Zehn Gebote, so sagt Bonhoeffer: „erlauben dem Menschen, als Mensch vor Gott zu leben.“[5]

1.2 Gottes Aufgabe für Israel

1.2.1 Struktur des Dekalogs

Die Zehn Gebote, wie wir sie in 2 Mose 20 überliefert haben, bestehen aus zwei Teilen. Die ersten vier Gebote betreffen die Beziehung der Israeliten zu Gott, die anderen sechs behandeln die gesellschaftlichen Beziehungen innerhalb der Bundesgemeinschaft. Sie umfassen Zehn Grundsätze des menschlichen Lebens. 1. Religion, 2. Gottesdienst, 3. Verehrung, 4. Zeit, 5. Autorität, 6. Leben, 7. Reinheit, 8. Besitz, 9. Reden und 10. Zufriedenheit.[6]

Der Dekalog stellt unbedingt zu Gehorsam verpflichtende Forderungen, eine sogenannte „apodiktische“ Formulierung, die sich in solcher Form in keiner zeitgenössischen Gesetzgebung findet und im Rahmen eines Bundesschlusse gegeben wird. Vergleicht man allerdings den Aufbau der Gebote und ihren Kontext, so erkennt man auffallende Ähnlichkeiten zu den Verträgen der hetitischen Großkönige. Dieser Vergleich und die Form macht deutlich: Gott ist der überlegene Bundespartner, der seinen heiligen Willen zum Ausdruck bringt.[7]

1.2.2 Ziel des Dekalogs

Als Gott dem Volk Israel die 10 Gebote übergab, war es eines der größten Ereignisse der Menschheitsgeschichte. Der allmächtige und große Gott selbst schreibt auf zwei Steintafeln, seine Anweisungen an das Volk Israel (2. Mose  31,18). Weshalb? Zur Rechtfertigung? Zur Erlösung? Nein, es war nie Gottes Absicht dem Volk Israel, die zehn Gebote als Weg zur Erlösung zu geben (Röm 3,20a; Gal 3,11). Der Dekalog war „nicht der Wegweiser zu einem Ziel, an dessen Ende erst (als Lohn) das Leben steht, sondern sie ist Orientierung auf einem Weg, auf dem Israel jetzt schon lebt, vor Gott und unter seinem Segen“.[8] Rechtfertigung vor Gott, geschah und geschieht immer nur durch den Glauben an ihn (1Mose 15,6; Röm 4,3.22; 5,1; Gal 2,16; 3,6.21). Die Absicht oder das Ziel des Gesetzes beschreibt Paulus in seinem Brief an die Römer.

„Wir wissen aber, dass alles, was das Gesetz sagt, es denen sagt, die unter dem Gesetz sind, damit jeder Mund verstopft werde und die ganze Welt dem Gericht Gottes verfallen sei. 20 Darum: Aus Gesetzeswerken wird kein Fleisch vor ihm gerechtfertigt werden; denn durchs Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde.“Elberfelder-Bibel; Römer 3,19-20

Das Gesetz hatte also die Aufgabe, den Menschen, denen es gegeben wurde, zu zeigen, wie sündhaftig sie sind und dass sie unter das Gericht Gottes verfallen sind. Die zehn Gebote verurteilen somit den Menschen. Jeder der sie liest, muss erkennen, dass er ihnen nicht gerecht werden kann.

1.2.3 Der Dekalog in der Geschichte

In den ersten beiden Jahrhunderten vermischten viele Schriftsteller einzelne Gebote mit anderem ethischen Material. Bischof Irenäus von Lyon argumentierte gegen die Marcioniten, dass Christus die Gebote nicht beseitigte, sondern dass er uns die Kraft gab, sie zu halten. Er war auch der erste, der sie mit den Naturgesetzen identifizierte und selbst den Heiden, die keine spezifische Offenbarung des Willens Gottes hatten, in ihr Gewissen gelegt worden ist.[9]

In der Zeit der Kirchenväter verlor der Dekalog an Bedeutung. Im Gegensatz dazu, wurde die Ethik der evangelischen Räte überbewertet und als etwas, das über den Wert der zehn Gebote hinausging, betrachtet. Augustinus betrachtete die Zehn Gebote als ein vorchristliches Gesetz, das von Christus, durch das Doppelgebot der Liebe, vereinfacht wurde. Er betonte, dass der Christ von innen gelenkt wird, weil Gott seine Liebe in die Herzen ausgegossen hat (nach Röm 5,5) und nicht von einem Gesetz das auf zwei Tafeln geschrieben ist. Doch wirklich prägend für die Zeit der Kirchenväter (400 -1200 n. Chr.) in der christlichen Ethik, war Ambrosius, der Lehrer Augustins. Er schrieb das erste Lehrbuch christlicher Ethik und ersetzte die Zehn Gebote durch eine ethische Konstruktion der vier griechischen Tugenden Gerechtigkeit, Klugheit, Tapferkeit und Besonnenheit und ergänzte sie mit den christlichen Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe. Dabei unterschieden sie zwischen zwei Stufen, der „Pflicht“, zu der die zehn Gebote gehören und die der breiten Masse des Volkes gegeben wurde, und der „Vollkommenheit“, die das Vorrecht der Wenigen, nämlich der Mönche und Nonnen sei. Weiter kam hinzu, dass die verschiedene Listen von Werken oder Gaben des Geistes im Neuen Testament, aus dem Kontext gerissen und zu ethischen Anweisungen erhoben wurden. Statt die Zehn Gebote zu untermauern, ersetzten diese Anweisungen die Zehn Gebote und stellten ihn in den Schatten. [10]

Die zehn Gebote gewannen zu Beginn des 13. Jahrhunderts wieder an Bedeutung, da sie als Beichtspiegel, durch ihre negative Moral, in der Beichte nötig waren. Ein Buch Edmunds von Canterbury führte dazu, dass jedem Gebot eine Anzahl von Sünden nach kasuistischem Maß zugeteilt wurde. Thomas von Aquin (1224 – 1274) besprach die meisten der zehn Gebote einzeln in seiner Summa Theologica und machte dadurch deutlich, dass die Zehn Gebote wieder zentrale Bedeutung in der Kirche haben.[11]

Die Reformatoren, allen voran Luther, schafften die Zwei-Stufen-Ethik ab und konzentrierten die gesamte christliche Ethik auf die Zehn Gebote. Luther zeigte durch fünfzehn verschiedene Auslegungen der Zehn Gebote, dass die Gebote alles enthalten, was von jedem Christen erwartet wird. Wir brauchen nicht nach einer höheren Form der Frömmigkeit oder Verdienst zu suchen, wenn wir Gott wirklich von ganzem Herzen, mit unserem ganzen Verstand, mit ganzer Seele und aus aller Kraft lieben, denn dann sind wir voll beschäftigt, sagt er. Calvin folgt ihm, indem er besonderen Wert auf zwei Funktionen des Dekalogs legte: seine anklagende und seine Weisung gebende Funktion. Auch er sieht die Zehn Gebote als die „perfekte Regel der Gerechtigkeit“. Die Reformatoren lehrten, dass durch den Fall des Menschen, das Verständnis des Naturgesetzes verwirrt und verwischt war und deshalb der Mensch eine neue Offenbarung des Gesetzes benötigte, nämlich die Zehn Gebote. Es ist die Aufgabe des Christen, dieses Gesetz zu erfüllen. Christus brachte nicht ein neues Gesetz, sondern Er brachte die Kraft, die Gebote zu halten. Mit der Zeit setzte man die christliche Ethik mit den Zehn Geboten gleich.[12]

Mit dem Beginn der liberalen Theologie, allen voran Friedrich Schleiermacher (1768 – 1834), begann die Ethik von den Zehn Geboten abzuweichen. Er erklärte den Dekalog für unangemessen als katechetisches Material, da es den Eindruck erwecke, das christliche Leben bestünde nur darin die Gebote zu halten. Emil Brunners, nach der Erneuerung der Theologie erschienene Lehrbuch der Ethik, Das Gesetz und die Ordnungen, enthält nicht einen einzigen Abschnitt über die Zehn Gebote, als wenn sie nicht existieren würden.

Diese Haltung gegenüber den Zehn Geboten hat dazu geführt, dass der Dekalog als christliche Ethik abgelehnt wurde und wird. Nicht nur in der liberalen Theologie, sondern auch in vielen konservativen Kreisen begegnet man dem Dekalog mit Ablehnung. Man spricht davon, dass Christus das Ende des Gesetzes ist (nach Röm 10,4) und somit die Zehn Gebote keine Relevanz mehr für unsere christliche Ethik haben. Man beruft sich stattdessen auf das Doppelgebot der Liebe und kommt somit zu einer sogenannten Situationsethik, in der in jeder Situation entschieden wird, was für uns richtig ist. Doch stimmt dieses wirklich? Ist Jesus wirklich das Ende des Gesetzes und hat somit die zehn Gebote aufgelöst?


[1] Bockmühl, Christliche Lebensführung: eine Ethik der Zehn Gebote, S. 32ff
[2] Burkhardt, Das große Bibellexikon, S. 1028
[3] Farkas, Wie der Mensch zum Menschen wird, S. 18f
[4] Jung, Die Zehn Gebote. S. 16ff
[5] Helbich, Zehn Zeichen Gottes: Die Gebote für unsere Tage. S. 10
[6] Walvoord, 1. Mose – 2. Samuel, Das Alte Testament erklärt und ausgelegt. S. 161 
[7] Burkhardt. Einführung in die Ethik. S. 57
[8] A.a.O. S. 58
[9] Bockmühl, Klaus. Christliche Lebensführung. Eine Ethik der zehn Gebote. S. 12
[10] A.a.O. S. 13ff
[11] A.a.O. S. 16
[12] A.a.O. S. 17ff